Eine Giraffe im Korsett - Vom Wesen der GfK

Gewaltfreie Kommunikation | Autor: Marcus Lärz | 07.04.2022

 

Ich habe in einem meiner letzten Beiträge etwas despektierlich über die Gewaltfreie Kommunikation geschrieben. … das ganze nützliche GfK-Kram … Das wird dem guten Marshall B. Rosenberg und seiner Gewaltfreien Kommunikation in keiner Weise gerecht. Weil mich seitdem ein schlechtes Gewissen plagt UND weil ich vor gut einem Monat einen super GfK-Kurs besucht habe, möchte ich hier noch mal ran. 

Wie alles begann

Als ich im Jahr 2012 in Berlin meine Mediationsausbildung genossen habe, kam ich erstmals mit der GfK in Berührung. Und zwar so:

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Damals war ich Ende 20, fing an mich für Konflikte zu interessieren und begegnete diesem begnadeten Puppenspieler, Marshall B. Rosenberg in Form dieses Videos. Als junger Mann, mutig auf seiner Reise zur dunklen Seite, habe ich mit vielem gerechnet. Was ich nicht erwartet habe, waren Wölfe, Giraffen und diesen weisen, grauen Zeitgenossen und seine Aufführung. Vorerst hatte die GfK einen Stempel – Defekt, bitte zurück. Kann nicht funktionieren.


Jede Menge Leben hat in der Zwischenzeit stattgefunden und immer wieder haben mich meine Prozesse mit der GfK in Kontakt gebracht. Wenn du das Handwerkszeug als Trainer, Coach, Berater, Führungskraft oder in anderen Rollen lernst, dann kannst du ziemlich sicher davon ausgehen, dass du irgendwann mit Rosenberg und seinem Modell konfrontiert bist.

Worum es geht

Im Prinzip geht es bei der GfK weit mehr um Haltung als um ein dogmatisches Kommunikationsmodell. Wir können sie gut nutzen zur (Selbst-) Reflexion im eigenen Kommunikationsverhalten. Natürlich hilft sie uns auch als Struktur, für zum Beispiel Feedbackgespräche, in Konfliktklärungen und bei der Planung der nächsten Urlaubsreise.

Marshall B. Rosenberg ist der geistige Urvater dieses Konzeptes. Ihr habt ihn in dem Video oben kennengelernt.

Die Gewaltfreie Kommunikation verläuft entlang eines vierteiligen Prozesses:

1) Meine Beobachtung

2) Meine Gefühle

3) Meine Bedürfnisse

4) Meine Bitte

Der Fokus in einer Interaktion, zum Beispiel in einer Konfliktklärung, liegt auf dem Verständnis der gegenseitigen Bedürfnisse.

 

Dazu hat Rosenberg diesen wunderbaren Satz geprägt: 



Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, dass in dem Moment, in dem Menschen anfangen, über das zu sprechen, was sie brauchen, statt darüber, was mit dem anderen nicht stimmt, die Wahrscheinlichkeit, einen Weg zur Erfüllung aller Bedürfnisse zu finden, dramatisch ansteigt. 


(Rosenberg, M. B. (2016): Gewaltfreie Kommunikation – Eine Sprache des Lebens; Seite 63.)


Es geht hier nicht darum nett zu sein, sondern echt. Es geht hier auch nicht darum, den oder die andere bedingungslos gewähren zu lassen. Vielmehr geht es darum, souverän und authentisch die eigenen Wahrheiten zu sprechen (ohne zu verletzten).

Ganz im Sinne der humanistischen Psychologie folgt Rosenberg dem Gedanken, dass sich gesunde, selbst verwirklichende und schöpferische Persönlichkeiten entfalten können, wenn es gelingt, in souveräner Art und Weise eigene Erwartungen und Bedürfnisse zu benennen.

Der Prozess der GfK to go – quasi zum Mitnehmen

An dieser Stelle sei auf die vielen guten Institute verwiesen, die sich dem Leitmotiv von Rosenberg verpflichtet haben. Bei denen ihr tiefer eintauchen könnt. Ich habe kurz überlegt, hier konkrete Anbieter zu benennen und mich dann doch dagegen entschieden. Nutzt Ecosia und sucht einfach selbst.

Zum Prozess und seinen Herausforderungen...

Beobachtung vs. Bewertung 

Im Grunde passiert es uns fast täglich, dass wir statt Beobachtungen (hier: das sinnlich Wahrnehmbare) unsere Bewertungen zu einer Situation in den Aether blasen. 

Statt… 

-        Ich habe gesehen, gehört, beobachtet… 

-        In der Situation habe ich dich … wahrgenommen. 

-        Mir ist im Meeting aufgefallen das… 


Kommt dann eher...

-        Du bist hier so gestresst reingeplatzt. 

-        Dein gelangweiltes Gesicht lässt erahnen… 

-        Du bist blöd! Du fährst wie ein Henker! 


Die Herausforderung für uns besteht darin, Bewertungen einer Situation eher zu vermeiden und unsere subjektiven Beobachtungen zu benennen. Was ist der gemeinsame, verifizierbare und benannte Ausgangspunkt unserer Reise. Worüber herrscht insoweit Klarheit. Gar nicht so einfach und dennoch nicht unmöglich. 

Gefühle vs. Pseudogefühle

Ja, liebe Männer, es geht im nächsten Schritt darum, unsere Gefühle zu dem auszudrücken, was wir gerade beobachtet haben. Hier gilt es dann für die Profis zwischen echten und unechten bzw. pseudo Gefühlen zu unterscheiden.

Eine Mini-Gegenüberstellung

Echte Gefühle: überrascht, angeregt, neugierig, ängstlich, aufgeregt, wütend, usw. 

Pseudo Gefühle: abgelehnt, angegriffen, gezwungen, ignoriert, provoziert, zurückgewiesen, usw.

 

Wie immer gilt: Es steht da wirklich niemand hinter euch und belangt euch wegen Verstoßes gegen das Gefühlsgesetzt. Es kann allerdings in Konfliktsituationen und in Streitgesprächen, das Zünglein an der Waage sein, wie ein Gespräch verläuft.

Ein Megatrick zu dem Thema: Versucht mal die echten Gefühle pantomimisch nachzustellen. Das dürfte ziemlich gut klappen, oder? Versucht das jetzt bitte mal bei den Pseudogefühlen. Hier wird es schon komplizierter, oder? 

Da Gefühle innerliche Prozesse sind, die sich ja letztendlich im Körper (-ausdruck) manifestieren, gelingt die Abbildung von echten Gefühlen überzeugender als die von unechten.  Wir kennen die echten Gefühle eben und können sie dementsprechend abbilden.

Und dann hat Rosenberg noch diesen wunderbaren Satz geprägt, der uns die Brücke zu den Bedürfnissen baut: 

Gefühle sind die Kinder der Bedürfnisse.

Marshall B. Rosenberg

Bedürfnisse vs. Strategien 

Wir alle haben sie, Bedürfnisse. Das Streben nach Bedürfnisbefriedigung treibt uns an und motiviert uns. Und verblüffender Wiese sind unsere Bedürfnisse gar nicht so unterschiedlich. Wer sehnt sich nicht nach Zugehörigkeit, Schutz und Sicherheit, nach Kreativität, Abenteuer oder Ruhe? Auf die eine oder andere Art, je nach Dosierung, wollen wir alle so ziemlich das Gleiche. 

Worin wir uns (zum Teil gehörig) unterscheiden sind unsere Strategien zur Bedürfnisbefriedigung. Wie kommen wir an das, was wir wirklich wollen und brauchen? Unsere Strategien, um Bedürfnisse zu befriedigen, werden durch unser Verhalten sichtbar, erlebbar, spürbar. Und hier liegt gehörig Sprengkraft für so manchen Konflikt. 

Stell dir vor, du und dein Partner/ deine Partnerin haben nach einer langen Arbeitswoche beide das Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung am Wochenende. Blöd nur, wenn der eine Entspannung erfährt, durch einen gemütlichen Abend auf der Couch und die (berührende) arte-Dokumentation Rottet die Bestien aus!. Und der oder die andere, will einfach mal wieder um die Häuser ziehen und so Entlastung erfahren. Beides unterschiedliche Strategien, um ein und dasselbe Bedürfnis zu erfüllen. 

Kritisch wird es immer dann, wenn wir nur eine einzige Strategie zur Verfügung haben, um unsere Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Ein Ansatz in der (Konflikt-) Begleitung von Menschen ist es also, nach anderen, nach alternativen Strategien und Wegen zu suchen, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen. 

Bitte vs. Forderung

Und zu guter Letzt, ich falle hier mal mit der Tür ins Haus: Eine Bitte ist dadurch gekennzeichnet, dass ich sie jederzeit ablehnen kann. Eine Forderung, die auf Macht oder Hierarchie gründet, kann ich nicht so leicht ablehnen. Wenn ich also eine Bitte, im Geiste der GfK, an mein Gegenüber richte, darf ich einkalkulieren, dass er oder sie auch ablehnt. Ziemlich risikoreich, nicht wahr?

Was hier absolut erwähnt werden muss, ist der Hinweis darauf, eine Bitte möglichst konkret zu formulieren.

Er: „Schatz, bitte arbeite doch morgen nicht so lange.“ Sie denkt sich okay, arbeitet am Folgetag nicht so lange und … geht endlich mal wieder mit der besten Freundin Essen. 

Moment, so war das von ihm eigentlich nicht gedacht. Ihr ahnt, worauf es hinausläuft. Es hilft im Allgemeinen sehr, einen Moment innezuhalten und zu überlegen, was brauche ich konkret von meinem Gegenüber und wie bekomme ich das gut formuliert.

Es gibt in der GfK drei typische Arten von Bitten. Hier ein kurzer Auszug:

1)     Verständnisbitte (Was ist gerade bei dir angekommen?)

2)     Beziehungsbitte (Wie geht es dir damit, das gerade zu hören?)

3)     Handlungsbitte (Kannst du mir zusagen, … zu tun?)

Versucht eure Bitten daher möglichst positiv, konkret und im Hier und Jetzt erfüllbar zu formulieren. Versucht es vielleicht einfach mal in euren Systemen und persönlichen Lebenswelten.

Schlussbetrachtung

Dies sind so weit meine Gedanken zur Gewaltfreien Kommunikation. Mir hat das Schreiben dazu geholfen, meine Eindrücke und Überlegungen zu ordnen. Stein des Anstoßes war, wie eingangs erwähnt, ein toller Workshop zur GfK, bei meiner Kollegin Lyn van der Laden. Vielen Dank dafür.

 

Hast du Fragen, Hinweise, Tipps oder Anregungen, dann melde dich gern bei mir. Ich freue mich auf den Austausch mit dir.

Ansonsten gilt, bleibt gesund und munter und auf bald...


 

Kurzer Nachtrag:

Was hat es bloß mit dem Wolf und der Giraffe auf sich? 

Wegen dem langen Hals bei Giraffen, führt die Schwerkraft in den Blutgefäßen auf Herzhöhe zu einem ungewöhnlich hohen Druck, dem entgegengewirkt werden muss. Die Giraffen brauchen also ein besonders starkes Herz. „Sprich von Herzen“ ist auch so ein Ausdruck vom Rosenberg. Er hat sein Tier gefunden. Und der Wolf? Er gilt auch weiterhin als Raubtier und spiegelt somit das angreifende und verletzende in der Sprache. Rosenberg hat seinen Antagonisten.