Von den Bühnen und Arenen dieser Welt...

Öffentliche und private Räume | Autor: Marcus Lärz | 10.02.2022

Geschichten aus dem Büro...

Stell dir bitte einmal folgende drei Szenarien vor:

1) Der Teamworkshop

Ein Teamworkshop, in dem es darum geht, die Basis für ein gemeinsames Miteinander neu zu verhandeln, geht zu Ende. Das Feedback ist höflich, wohldosiert und, nennen wir es, vorsichtig optimistisch. Es vergehen drei Minuten nach dem offiziellen Ende und das Handy fängt an zu klingeln. Erst eine Workshopteilnehmerin, danach eine andere. Neue Wahrheiten werden gesprochen, Zurückgehaltenes tritt ins Licht und es ist eine neue, andere Qualität in den Aussagen der Teilnehmerinnen. 

2) Das Teammeeting

Es geht im Meeting um die Unterstützung einer Studentin und deren Masterarbeit, durch die Bereitschaft, sich einem Interview zu stellen. Es entsteht eine Debatte zum Pro und Contra. Du weißt schon, man/ frau müsste ja, aber die knappen Ressourcen. Ausdiskutiert wird das Thema nicht, vielmehr vertagt man sich. Kurz vor Feierabend klingelt das Handy. Es geht darum, so kurz vor dem Wochenende geradezurücken, wie vorhin alles gemeint war. Jetzt unter vier Augen könne man/frau ja offen sprechen.

3) Das Projekt

Die Jahresauftaktveranstaltung in einem Projekt läuft harmonisch, völlig unspektakulär. Bis es zu dem Thema der zukünftigen Ressourcenverteilung kommt. Meinungen und Standpunkte werden ausgetauscht. (Wir sind weit weg von Bedürfnissen, ICH-Botschaften und dem ganzen nützlichen GfK-Kram.) Es wird emotional und eine Teilnehmerin steigt aus – nach einem letzten, wahrnehmbaren Seufzen erlischt der Bildschirm. Diesmal klingelt nicht das Handy, sondern eine E-Mail erreicht den Posteingang. Großartig formuliert, klare Botschaften, ein verschriftlichtes Händereichen und virtuelles Umarmen.

Diese Szenen aus einer Arbeitswoche im Januar 2022 inspirierten mich dazu, dem Thema der privaten und öffentlichen Räume nachzugehen. Es gilt zu überlegen, mit was wir es hier zu tun haben. Es braucht einen Erklärungsansatz für die Phänomene, die uns in unseren beruflichen wie privaten Systemen heimsuchen. Immer und immer wieder. Es gilt auch zu erkunden, was es braucht, um die Qualität unserer Beziehungen und damit folgend, die Qualität unserer Gespräche zu erhöhen.

Öffentliche und private Räume – eine Definition 

Fangen wir mit dem Gedanken an, dass es einen Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Räumen gibt. 

Öffentliche Räume

Öffentlichkeit als ein Bereich unserer Systeme, in dem Menschen zusammenkommen, die es angeht, um darüber zu verhandeln, was alle angeht.[1] Meetings, Workshops, Feiern und Feste jeglicher Art. Du bist nicht allein, sondern umgeben von mindestens einer anderen Person und besprichst Dinge, die über deine eigene Souveränität hinausgehen. Das ist Öffentlichkeit. Hier treffen sich die Mitglieder eines Systems in ihren Rollen – Chef, Mitarbeiter, Auszubildender, Fachberater, Ehemann/ -frau, all solche Rollen. Sie sind in Kontakt zu dem, was die Gemeinschaft angeht.


[1] Vgl. Molzahn, Rainer (2014): Tough Love; Seite 57 ff.


Private Räume

Die privaten Räume, Teeküchen, Hinterzimmer, Parkbänke dieser Welt, kennzeichnen sich dadurch, dass eben nicht alle da sind, die es angeht. Wenn Menschen zusammenkommen, um über Dinge zu sprechen, die andere (auch) angehen, wenn über abwesende Dritte gesprochen wird, dann geschieht dies zuweilen in privaten Räumen. Hier genießt man Vertrautheit, Schutz und das Privileg der Abgeschiedenheit. So von Person zu Person und weniger in den Rollenverflechtungen. 

Ein besonderes Beispiel zum Tanz in privaten und öffentlichen Räumen geben uns Angela Merkel und ihre Büroleiterin Beate Baumann. Dazu dieser sehr empfehlenswerte Artikel:  Angela Merkel: Kann man an der Macht ein guter Mensch sein?

 

Phänomene in diesem Konstrukt

Senatores boni viri, senatus mala bestia.”

Die Senatoren sind allesamt gute Männer, der Senat ist eine Bestie. 

Heute hü morgen hott
Wir alle kennen das Phänomen, wenn Menschen ihr Verhalten zwischen Kaffeetheke und Konferenzraum, scheinbar plötzlich ändern. Was eben noch besprochen und klar schien, steht auf einmal wieder zur Debatte. Du glaubst es nicht! Der öffentliche Raum bringt Menschen dazu, Dinge zu sagen, zu tun oder zu schweigen und zu unterlassen, obwohl Themen doch zuvor anders ausgehandelt schienen. Dies führt regelmäßig zu Verwunderung, lässt aufhorchen, überrascht oder überrumpelt. Ein Feld auf dem Konflikte gedeihen.

Zeugenschaft
Was im Meeting oder im Standesamt geschieht, wird nun mal von den Anwesenden bezeugt. Man protokolliert, dokumentiert, fotografiert und visualisiert auf Teufel komm raus. Und diese öffentlichen Bezeugungen sind Hemmnis und Herausforderung für die meisten Menschen. Da ist ziemlich Druck im Kessel und (verbale) Fehltritte wollen tunlichst vermieden werden. Das, was ich im öffentlichen Raum von mir gebe, ist immer dem wohlwollenden oder vernichtenden Urteilen der Gemeinschaft ausgesetzt. Zugehörigkeit steht auf dem Spiel. 

Medizin oder Gift – eine Frage der Dosis
Deshalb ist es manchmal ratsam, Kritik, Verfluchungen und Verwünschungen in der Abgeschiedenheit verwaister Teeküchen oder Raucherinseln (gibt es die noch?) zu platzieren. Adressiert an Vertraute, Verbündete oder Leidensgenossen. Wenn man/ frau unter sich ist, kann man/frau frei Atmen und Sprechen.

Der Organisationssoziologe Stefan Kühl hat das ganz wunderbar zusammengefasst in der brand eins Ausgabe 10/2021 unter der Artikelüberschrift: Paarbildung, Lästercliquen, Streiks, Morde: immer was los im Betrieb. Absolute Leseempfehlung. Kühl wird in dem Interview gefragt, welche Gefahr denn eigentlich von diesen sog. Entlastungs-Cliquen ausgehe? Kühl antwortet: Was in diesen Cliquen behandelt wird, steht dem Unternehmen nicht als Information zur Verfügung. Es wird gelästert, aber worüber gelästert wird, was schiefläuft, welche Fehler die Vorgesetzten aus Sicht der Mitarbeiter machen, erfährt die Firma nicht. Das Verlagern der Unzufriedenheit in die Cliquen entzieht der Organisation Lernmöglichkeiten.

Drastischer habe ich es nur einmal von Rainer Molzahn gehört. Dieser sagt sinngemäß: Alle Rolleninteressen, die im öffentlichen Raum kein Gehör finden, entfalten ihre Wirkung in den privaten Räumen. Wenn die Themen aus den privaten Räumen, den Weg zurück in die öffentlichen Räume nicht mehr finden, dann kündigt sich Revolution an. Die Spannungen werden größer, Spaltungen nehmen zu, usw. 

Gift oder Medizin, Heilung oder Verletzung – so vieles ist möglich. Verhindern lassen sich solche Dynamiken wohl nie. Sie zu kennen, zeichnet einen Weg aus den Verstrickungen. Was können wir tun? 

Sicherheit und Verlangsamen

Psychologische Sicherheit 

Amy Edmonson eröffnet uns dazu eine Perspektive und reicht uns das Konzept der psychologischen Sicherheit. Sie forscht zum Thema Leadership & Management an der Harvard Business School und hat erstmals in einer 1999 veröffentlichten Studie den Begriff der Psychologischen Sicherheit geprägt. Edmonson definiert diese als eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der alle Team-/ Gruppenmitglieder sich offen äußern können, ohne beschämt zu werden, abgewiesen zu werden, oder in anderer Form negativ sanktioniert zu werden. Sie beschreibt also eine Kultur der Zusammenarbeit in Gruppen. 
 

In einer solchen Umgebung ist es für die Menschen in öffentlichen Räumen möglich (nicht verpflichtend), sich frei zu äußern. Menschen können sich neugierig zeigen und ihre Fragen stellen. Sie können Kritik äußern (im Rahmen des geschmackvoll Erlaubten). Vielleicht sogar mehr. Es können Fehler zugegeben werden. 
 

Wenn du also Menschen führst oder in anderer Weise für Teams oder Gruppen verantwortlich bist, wenn du also sprichwörtlich den Tiger reitest, ohne Netz und doppelten Boden, dann kann es eine Aufgabe für dich sein, eine Kultur der psychologischen Sicherheit zu prägen. In einem der nächsten Blogs mehr dazu. 

Verlangsamen
Und wenn du als amtlich bestätigte und offiziell legitimierte Führungskraft mit Menschen und Gruppen arbeitest, dann hast du quasi per Rollendefinition das Mandat zum Verlangsamen. 

Wer wenn nicht du in Führungsverantwortung, kann im öffentlichen Raum aussprechen: „Moment mal, bitte! Da möchte ich mehr zu hören, genauer hinschauen oder besser verstehen!“ 

Natürlich können und sollen das auch alle anderen tun. Zu einem erheblichen Teil, ist das in der öffentlichen Arena aber dein Job. Die Menschen verlassen sich hier auf dich. Es braucht dazu Mut, Zugewandtheit und Interesse an den Menschen und dem Thema. Wer fragt riskiert Antworten. Die Qualität dieser Antworten, kann im öffentlichen Raum auch mal fordernd sein. Das läuft dann unter Berufsrisiko. 

Was hier auf dich wartet, ist dann dies: Das alles führt uns dazu, dass die Qualität unserer Gespräche im öffentlichen Raum zunimmt. Es führt dazu, dass ein Gefühl der psychologischen Sicherheit entstehen kann. Es führt dazu, dass Menschen ihre Beiträge leisten und im richtigen Moment eine Veränderung bewirken. Wir verlassen die Nebelgebirge der kollektiven Trance und betreten eine Lichtung. Ein kleines bisschen mehr Klarheit ist zum Greifen nah. 

(And by the way: Diese manchmal etwas nervigen Nachkontaktierungen, erinnere dich an die drei Ausgangsszenarien, werden auch etwas weniger. Manchmal.)