Gemeinschaft und Zugehörigkeit

Konflikte | Autor: Marcus Lärz | 22.09.2021

Von Zugehörigkeit und Ur-Ängsten

Worum geht es im Leben, wenn nicht um Themen wie Gemeinschaft und Zugehörigkeit? Die Wirkmechanismen, die darüber bestimmen, wer der Gemeinschaft angehört und wer eben nicht, sind vielfältig. 


In meiner Gemeinde gibt es eine Waldgenossenschaft, die sich der Aufgabe verpflichtet sieht, den heimischen Wald für nachfolgende Generationen zu schützen. Mein Sohn gehört seit Schulbeginn der Gemeinschaft eines Klassenverbundes in der Grundschule an. Es gibt in der Berufswelt unzählige Gemeinschaften und Systeme wie (Projekt-) Teams, Bereiche, Geschäftsbereiche und viele andere Formen der organisationalen Zusammenarbeit. Wir alle gehören mehr oder weniger mehreren dieser Clubs an. Familie, Partnerschaft, Freundschaften, Sportverein, Kegelklub, Beruf und vieles mehr gelten als soziale Systeme, die uns vor allzu viel Einsamkeit und Selbstkonfrontation bewahren. Allzu oft ziehen sie auch einen Großteil unserer Aufmerksamkeit und verhindern so die (nötige) Selbstkonfrontation.


Gerade beim Thema Konflikte begegnet sie uns häufig – die Urangst vor dem Verlust der Zugehörigkeit. Die Angst vor dem Rausschmiss aus der Gemeinschaft. Was kann es Schlimmeres geben, als in diesem Universum der Unwägbarkeiten allein und schutzlos zu wandeln? Wir brauchen sie, unsere Gemeinschaften und Heimathäfen, unsere Peergroups und Verbandlungen. Die Aufkündigung der Clubmitgliedschaft, der Verlust der Zugehörigkeit kann dabei mannigfaltig auftreten. Die Freundschaft kann aufgekündigt werden, die Ehe wird geschieden, die Arbeitsbeziehung wird gekündigt und viele weitere Formen sind denkbar. In Vorstufen dieser finalen Entscheidungen gibt es Signale wie heiße und kalte Konflikte, den Abbruch der Kommunikation oder ganz besonders mies, die Isolation in (noch) bestehenden Gemeinschaften.

 

Das Modell der logischen Ebenen

In einer Weiterbildung ist mir dazu Robert Dilts über den Weg gelaufen. Nicht leibhaftig, sondern in Form seines Erklärungsmodells der logischen Ebenen in Veränderungsprozessen. Für einen kurzen und knackigen Einstieg in das Thema empfehle ich Dir dieses Video auf youtube.

Im Prinzip beschreibt Dilts Veränderungsdynamiken durch sechs aufeinander Aufbauende Ebenen.

Stufe 1

Auf der untersten Stufe der Pyramide befindet sich die Umwelt (Environment). Quasi der Kontext oder das System in dem wir Leben. Hierunter fallen alle sinnlich wahrnehmbaren Eindrücke und Reize, die unsere Umwelt beschreiben. Hier entfaltet sich, wo wir leben und in welche Systeme wir eingebettet sind.

Stufe 2

In der darauffolgenden Ebene geht es um unser Verhalten (Behaviours). Dies meint alle Handlungen und Reaktionen die Menschen vornehmen und die von anderen beobachtet werden können. Stimme, Gestik, Mimik und Körpersprache zählen ebenfalls zu dieser Ebene. 

In Konfliktsituationen fallen dann schon mal Sätze wie diese: 

-        „Du tust nicht dieses oder jenes!“ 

-        „Nie räumst du deine Kaffeetasse weg.“ 

-        „Immer landen die Socken vor dem Wäschekorb!“

-        „Kannst du nicht einmal das Druckerpapier nachfüllen, wenn das letzte Blatt raus ist?“


Solche oder ähnliche Formulierungen kennen wir alle in unterschiedlichen Ausprägungen. Sie zielen konkret auf ein Verhalten von Menschen. Die Lösung scheint einfach darin zu liegen, dass entsprechende Verhalten zu ändern. Wir alle wissen, ganz so einfach ist das nicht.


Stufe 3
Die dritte Ebene befasst sich dann mit den Fähigkeiten (Capabilities). Hier sprechen wir also über Fähigkeiten und Kompetenzen, darüber was Menschen können, um ein bestimmtes Verhalten zu tun. Diese Ebene bildet ab, ob ich im Stande bin eine bestimmte Rolle auszufüllen. Bin ich in der Lage, als Vater, mein schreiendes Kind zu beruhigen? Kann ich als Führungskraft Unternehmensziele für meine Mitarbeiter übersetzen und besprechbar machen? Kann ich als Mitarbeiter die neue Software so nutzen, dass mein Beitrag zum Teamerfolg möglich bleibt? 

In Konflikten sehen wir uns dann schnell mit Aussagen wie diesen konfrontiert:

-        „Du kannst nicht …!“

-        „Du begreifst einfach nicht, dass …!“

-        „Immer wieder versagst du an der gleichen Stelle.“

Du merkst, in diesen Aussagen liegt schon mehr Sprengkraft als in den vorherigen. Hier wird kein Verhalten in Frage gestellt, sondern Fähigkeiten. Und wenn öffentlich in Frage gestellt wird, ob ich etwas kann oder nicht kann, berührt dies Menschen sehr. Ein zarter Hauch der Frage nach der Zugehörigkeit kommt auf.

Stufe 4

Es wird noch interessanter. Die vierte Ebene der Dilts Pyramide thematisiert dann Werte und Glaubenssätze (Values and Beliefs). Die Ebene ist deshalb so spannend, weil wir uns spätestens hier nicht mehr auf sinnlich wahrnehmbare Eindrücke berufen können. Sprich, welche Werte jemand hat (oder auch nicht) und welchen Glaubenssätzen er oder sie Beachtung schenkt, ist im bloßen Wahrnehmen und Beobachten nicht erkennbar. Wir können allenfalls Vermutungen dazu anstellen. Diese Ebene repräsentiert also die Dinge und Themen, die einem Menschen wichtig sind, die für ihn oder sie Bedeutung haben. 

Ziemliche Wirkungstreffer in Auseinandersetzungen sind folgende:

-        „Dir ist gar nicht wichtig, dass …!“

-        „Du interessierst dich null für unseren gemeinsamen Haushalt.“

-        „Der Mensch in unserem Team geht dir doch am A… vorbei!“

Diese und andere Variationen von Aussagen sind in Streitgesprächen wahre Kinnhaken. Stellen sie doch sehr direkt und ohne Umwege unser eigenes Wertesystem in Frage. Spätestens hier ist Gefahr im Verzug. Wie kann sich mein Gegenüber anmaßen, meine Werte, meine Idee von Gut und Böse in Frage zu stellen? Es wird gefährlich!

Stufe 5

Und wenn wir schon dabei sind Werte und Leitmotive zu attackieren, dann ist es nicht mehr weit und der Mensch als Ganzes steht im Fokus. Dilts beschreibt die nächste Ebene mit Identität (Identify). Vereinfacht gesagt, geht es um die Frage wer du bist. Hier kommst du als Person zum Ausdruck. Es geht um die Vorstellung die du als Person in Gänze von dir hast, mit all deinen Verhaltensweisen, Fähigkeiten und mit all dem, woran du glaubst und was deinem Wertesystem entspricht. 

Hier werden Geschütze aufgefahren wie diese:

-        „Du bist ein Schwein!“

-        „Du kannst ja gerne so tun, aber du bist keine Führungskraft.“

-        „Du bist nicht meine Mutter/ Vater/ Bruder/ Schwester.“

Man kann fast sagen, dies ist der endgültige Knock-out. Hier sind Menschen in ihrer Identität in Frage gestellt. Es geht nicht mehr um einzelne Teile unseres Selbst, sondern um das Große Ganze. Das große schwarze Loch tut sich, in dem wir gänzlich verschwinden. Das hat Kraft.


Stufe 6
Und alles gipfelt letztendlich in der einen zentralen Frage der Zugehörigkeit. Wer sind meine Leute? Dilts überschreibt diese letzte Ebene mit Zugehörigkeit, Sinn, Spiritualität (Purpose). Auf dieser Ebene verlassen wir die individuelle Wahrnehmung unserer Selbst und gehen in etwas Kollektivem auf. Es geht um die Zugehörigkeit zu etwas Größerem und Höherem. Etwas profaner ausgedrückt, verlassen wir unsere Insel der Einsamkeit und schwimmen im Ozean der Gemeinschaft. Alles was im Vorfeld wahrgenommen und erlebt wurde führt uns zu diesem Punkt, an dem Zugehörigkeit verhandelt wird. 

Was uns erwartet, sind Aussagen wie diese:

-        „Es ist besser, du verlässt den Kreis der Familie.“

-        „Für dich ist es an der Zeit zu gehen.“

-        „Sie sind nicht mehr tragbar.“

Dies sind Sätze, die eine Kündigung aussprechen, die Zugehörigkeiten beenden. Das sitzt, wir sind wieder allein. Die Ur-Angst schreit uns ins Gesicht und das Drama nimmt seinen Lauf.

 

Was können wir tun?

Es scheint ein Teil der Wahrheit zu sein, dass wir alle diese Pyramide hinauf und hinab tanzen, immer und immer wieder. Wir alle haben (Achtung Hypothese) die oben zitierten Sätze als Täter ausgesprochen oder als Opfer zu hören bekommen. Wir verletzen durch unsere Worte genauso, wie wir durch Worte anderer verletzt werden. 

In Konfliktsituationen geben mir die logischen Ebenen Orientierung und dienen mir als Kompass in der Konfliktanalyse. Was hat bisher stattgefunden? Auf welchen Ebenen attackieren sich die Menschen. Durch welche Formulierungen haben Verletzungen stattgefunden? Wo und wodurch fühlen sich die Menschen getroffen?

Dilts geht sogar so weit und formuliert, dass Interventionen die Veränderungen herbei führen sollen, mindestens auf der gleichen Ebene, wenn nicht sogar auf einer höheren Ebene ansetzen sollen. Klingt nachvollziehbar. Wenn du Verhalten ändern möchtest, solltest du bei deinen Fähigkeiten ansetzen. Willst du neue Fähigkeiten erlernen, setze dich mit dem auseinander, was dir wichtig ist und welche fördernden oder hemmenden Glaubenssätze du hast. Und so weiter… Halt! Fragst du dich wer du bist und was du tust und was das ganze eigentlich soll? Dann ist die Frage nach der Zugehörigkeit nicht weit. Wer definiert meinen Club? Zu wem gehöre ich? Wer sind jetzt meine Leute? 

Nimm dir Zeit, Zettel und Stift und spüre dem nach, wenn du magst...

Auf bald!

Und hier noch einmal die Zusammenfassung des Artikels als grafische Darstellung: