Vom Wesen der Veränderung - #1 Rolle und Person
Rolle und Person | Veränderung | Konflikte | Autor: Marcus Lärz | 29.09.2022
Nicht selten, wenn wir individuell oder kollektiv mit Veränderungen konfrontiert sind, wird es ungemütlich. Man kann diese Phase in Veränderungsprozessen mit dem Wechsel der Jahreszeiten von Sommer auf Herbst vergleichen. Wo wir gerade noch die Wärme und Unbeschwertheit des Sommers genießen durften, wird es im nächsten Moment nass, kalt und ungemütlich. Das ist im Grunde nichts Dramatisches. Wir sind halt gerufen uns auf die veränderten Wetterbedingungen anzupassen.
Wir müssen unsere Kleidung überprüfen. Brauchen vielleicht einen warmen Mantel, der uns schützt. Wir sollten überprüfen, wann wir welche Strecke im Freien zurücklegen und vor allem, mit wem. In dem Bewusstsein, dass das Leben seit Anbeginn nach vorne schreitet und Veränderungen so natürlich wie notwendig sind, sollten wir auch schauen, welche Kieselsteine im Schuh die Reise erschweren könnten.
Diese drei Metaphern, der warme Mantel (#1), die Strecke im Freien (#2) und die Kieselsteine im Schuh (#3), sollen eine Blogreihe zum Thema Konflikte in Veränderungsprozessen eröffnen.
Heute und hier passend zum Wetter da draußen, nehmen wir uns den wärmenden Mantel vor und bringen ihn in den Kontext der Veränderungsprozesse.
Durch Rollen in Beziehung treten
Stell dir also vor, du als Person bist ziemlich im Einklang mit dem, was du tust - auf Arbeit, in deiner Beziehung, ganz egal wo. Wenn früh morgens um 7:00 Uhr dein Wecker klingelt und du dem Tag entgegentrittst, dauert es zumeist nicht lange und du schlüpfst in eine Rolle. Du bist Mutter/ Vater, Partner oder Partnerin, du bist Kollegin oder Kollege, Chef oder Chefin – ganz egal, du übernimmst ziemlich zeitig am Tag eine dieser Systemrollen. Das ist auch nichts Schlechtes oder Verwerfliches, sondern das, was Menschen in Gemeinschaften gemeinhin tun. Wir treten in (Rollen-) Beziehungen zu anderen. Wir dürfen unsere Rollenbeziehungen dabei nicht mit Masken, Maskeraden, Verkleidungen oder dergleichen diffamieren. Wie es allzu oft in gruseligen Instagram-Posts passiert oder von den Lobbyisten der Selfcare-Hysterie zu vernehmen ist.
„Sei du selbst und spiele keine Rolle!“
1. Es ist kaum möglich jemand anderer zu sein. 2. Ja, manchmal spielen wir tatsächlich in und mit unseren Rollen. Das ist nicht verwerflich und bringt uns irgendwann sogar dahin, diese Rollen eigenverantwortlich und souverän zu interpretieren.
Rollen als Erwartungsbündel
Eine Rolle ist dabei so etwas wie ein Erwartungsbündel einer Organisation, eines Vereines, eines Clubs oder dergleichen. Wenn du dabei sein willst, dann wünschen/ fordern wir dieses oder jenes von dir (in deiner Rolle). Diese Erwartungen sind in vielen Unternehmen explizit ausgedrückt und finden sich in so etwas wie Stellenbeschreibungen wieder. Da steht dann drin, dass Kundenberater X dieses oder jenes tun oder lassen soll, dafür verantwortlich ist oder hier lieber die Finger von lässt. In einer Rolle liegen also Erwartungen. Schön, wenn diese ausdrücklich erklärt und/ oder nachlesbar sind. Nicht so schön, wenn ich in meinem Job mit impliziten oder versteckten Erwartungen zu tun habe. Dies sind Erwartungen an die Rolle, die irgendwie schon immer da sind, die alle Systemmitglieder kennen, anerkennen oder zumindest (stillschweigend) dulden. Sie werden in dieser oder jener Kultur nicht mehr in Frage gestellt, denn: „Das machen wir schon immer so!“ oder „Das läuft hier halt so!“ Alles nicht mehr so amüsant, wenn du neu dazu kommst und dir keiner erklärt, was hier gerade passiert oder erwartet wird.
Klar definierte und anerkannte Rollen erleichtern nicht nur das wechselseitige In-Beziehung-Gehen in Teams und Gruppen, sondern ermöglichen überhaupt erst ein zielorientiertes, produktives Miteinander (Arbeitsfähigkeit).
Wenn klar ist, was von einem bestimmten Rolleninhaber zu erwarten ist und der Rolleninhaber ebenso weiß, was andere von ihm erwarten, dann schafft dies Vertrauen, Sicherheit und gegenseitige Verlässlichkeit. In Veränderungsprozessen, wenn so vieles noch im Verborgenen liegt und sich Beziehungen in Systemen von heute auf morgen ändern können, dann ist die Erwartungsklärung zu unseren Rollen besonders wichtig. Was brauchst du von mir und was brauche ich von dir? Was kann oder muss unser gegenseitiger Beitrag zum Gelingen sein? Welche Interessen liegen in deiner Rolle und welche verfolge ich in meiner?
Dabei gilt besonders zu beachten, dass das Individuum immer mehr ist als nur seine Rolle und die Rolle ist nicht mit dem Individuum identisch.
Role doesn´t equal soul!
Eine Rolle, die du ausfüllst, bist nicht du (als Person) und wenn jemand ein Problem mit dieser Rolle hat, dann hat das erstmal nichts mit dir als Person zu tun. Erstmal...
Dem Chaos Struktur einhauchen
Durch Rollenbeziehungen werden menschliche Interaktionen ein wenig plan- und kalkulierbarer. Ein wenig zumindest. Wenn ich mit einem Fachberater zu einem Thema spreche, dann kann ich davon ausgehen, dass wir im fachlichen nicht bei Null anfangen. Wenn ich meinem Chef gegenübersitze, dann ist erwartbar, dass er (zumindest einen kleinen) Informationsvorsprung hat und er oder sie mir auf die eine oder andere Weise helfen kann. Es besteht also die berechtigte Hoffnung, dass ein/e Rolleninhaber/in nicht völlig willkürlich und unvorhergesehen agiert oder reagiert. Wir sind geprägt und sozialisiert im Umgang mit Rollen. Wir haben also bestimmte Vorstellungen und Meinungen zu ihnen. Unsere Erfahrungen mit verschiedenen Rollen nährt unseren heutigen Umgang und Zugang zu ihnen.
Kurzum: All das kreative, emotionale, liebende, hassende, (mit-)menschliche, moralische, empathische wohnt uns als Person inne. Das ist unsere Kraft, unser Geschenk, welches wir in unsere Rollen einfließen lassen. Damit wir jenseits aller menschlichen ups and downs, jenseits von Sympathie und Antipathie arbeitsfähig und organisiert zu Werke gehen können, helfen uns die Systemrollen. In ihnen sind wir für unsere Mitmenschen (ein wenig) erwartbarer.
Der warme Mantel
Rollen können zu uns passen und sich stimmig anfühlen. Wir schlüpfen in sie, wie in einen warmen (Herbst-) Mantel. Er sitzt uns passt perfekt zu uns, wenn wir das nötige Wissen, um die an die Rolle gerichteten Erwartungen haben. Er passt, wenn wir die erforderlichen Skills und Kompetenzen mitbringen, die an die Rolle adressiert sind. Der Mantel steht uns, wenn wir durch Respekt und Vertrauen unserer Mitmenschen, in die Größe wachsen um die Rolle sicher und souverän auszufüllen.
Bin ich als Person (noch) nicht soweit bestimmte Rollenerwartungen ausfüllen, dann ist der Mantel für mich womöglich noch zu groß. Hier hilft es zu reflektieren, was genau noch fehlt oder vermisst wird? Welche Erwartungen der Stakeholder gibt es, die ich bis dato noch nicht erfülle? Was brauche ich, um zukünftig in die Rolle hineinzuwachsen. Dies sind oft typische Themen im Onboarding auf eine neue Stelle oder eben auch in Veränderungsprozessen. Immer dann, wenn durch Veränderungen neue Rollen entstehen oder bisher bekannte Rollen sich verändern. Gerade dann gilt es zu klären, was genau hier gerade geschieht. Wenn wir beschreiben können, was sich an Rollen ändert und zukünftig erwartet wird, dann können wir auch den Menschen helfen, in die "neue" Rolle hineinzuwachsen. Dieser Prozess verdient unsere volle Aufmerksamkeit. Denn wie weiß der Volksmund: "Du kannst nur erwarten, was vorher geklärt wurde."
Im umgekehrten Fall kann es auch passieren, dass wir als Personen über unsere Rolle hinauswachsen. Wenn ich als Mensch einen bestimmten Grad an Expertise erreicht habe, wenn ich seit vielen Jahren im selben Job bin, ich ein Grad an Perfektion erreicht habe, der alle Prozesse routinenhaft erscheinen lässt, dann droht erschlaffende Gewohnheit. Die Farbe verschwindet und es wird grau in grau. Vielleicht stoße ich als Person an Grenzen, mein Verantwortungsbereich ist mir zu eng, ich möchte mehr einbringen als ich derzeit darf oder soll. Ich könnte so viel mehr, werde durch das systemische Regelwerk aber massiv eingebremst. Dann ist mir der Mantel vielleicht zu klein geworden, er zwickt und immer öfter reißen die Nähte. Auch das ist nicht untypisch in Veränderungsprozessen, wenn Verantwortungsbereiche sich ändern, wenn Hierarchieebenen wegfallen, wenn es meine bisherige Stelle nicht mehr gibt. All das kann dazu führen, dass ich mich in Rollen wieder finde, die sich für mich nicht passend oder stimmig anfühlen.
Wir sind in Veränderungsprozessen dazu aufgerufen, unsere gegenseitigen Rollenbeziehungen zu klären. Passt das, was ich da an habe, zu mir und meinen Vorstellungen. Wie viel kann, will und muss ich ändern, damit ich für den nahenden Herbst oder Winter gut gekleidet bin? Passt meine Rolle zu mir wie ein warmer Mantel oder laufe ich rum, wie ein Clown in zu großen oder kleinen Kleidern? Die letzte Frage ist saftig und ich erlaube mir, sie euch zu stellen.
Bleibt gesund und munter und kommt gut durch den Herbst.
Auf bald...