Vom Wesen der Veränderung - #2 Veränderungszyklus

Veränderung | Prozess | Zyklus | Autor: Marcus Lärz | 23.02.2023

Erst kommt es, dann ist es da und dann geht es wieder weg

Gerade erfahre ich diesen Wunsch nach einem linearen, ja fast geordneten und strukturierten Veränderungsprozess wieder sehr intensiv. Diese Sehnsucht, dass Veränderung zu einem bestimmbaren Zeitpunkt beginnt, dann ruckelt es eine Weile und dann ist man/frau durch und Alles oder zumindest ein Bisschen ist anders, fühlt sich gerade omnipräsent an. 

Das führt mich immer wieder zu der Frage: Was hat es nur mit dieser guten, alten (und linearen) Veränderungskurve auf sich? (Anfangen, Durchwursteln, Ankommen und fertig!) Diese Frage stellt sich mir gerade auch wieder, durch einen Podcast den ich letztens gehört habe. 

In diesem hieß es: Der Begriff Change Management sei ein gutes Beispiel für ein Oxymoron!

Bei diesem Stilmittel der deutschen Sprache habe ich bisher eher an Klassiker wie „beredetes Schweigen“ oder „stummer Schrei [nach Liebe]“ gedacht. Change Management in dieser Kategorie war neu und überraschend für mich. Die Episode Mythos Changemanagement (#209) von der Unternehmensberatung Kurswechsel kann ich dir sehr empfehlen. Und genau in dieser Folge kam der Gedanke auf, Change Management als Oxymoron zu sehen, zwei sich gegenseitig ausschließende Begriffspaare. Kann man/frau Veränderung überhaupt managen? So prozess- und checklistenartig gedacht...!?
 

Achtung Spoiler: Ich gelange immer mehr zu der Erkenntnis, dass genau das nur bedingt geht. Es muss aus den Köpfen der Führungskräfte raus, dass Veränderungsprozesse zu managen seien! Nach wie vor wird managen am häufigsten mit verwalten übersetzt. Und das kann es ja wohl nicht sein. Vielmehr geht es um Prozessbegleitung als um Prozessverwaltung. 

Der Ausgangspunkt: Sterben und Tod als Trauerprozess

Aber der Reihe nach. Heute möchte ich euch eine Landkarte, ein Navigationsgerät vorstellen, welches helfen kann, sich und andere in Veränderungsprozessen zu verorten. Gemeint ist hier die sogenannte Veränderungskurve in Anlehnung an Elisabeth Kübler-Ross. Bereits Ender der 1960er Jahre hat Kübler-Ross ihre Erkenntnisse aus der Trauer- und Sterbebegleitung in ein Phasenmodell gepackt und daraus einen fünfgliedrigen Prozess entwickelt. 

1.) Leugnen (denial)
2.) Zorn (anger)
3.) Verhandeln (bargaining)
4.) Depression (depression)
5.) Annahme (acceptance)

Es dauerte natürlich nicht lange und erste Kritik brach sich Bahn. Ein zentraler Vorwurf bei der Auseinandersetzung mit Kübler-Ross ist gemeinhin, dass diese individuellen Prozesse nicht generalisiert und standardisiert werden können. Das schematische Sterben missachte grundlegend die Einzigartigkeit der Person. Nichtsdestotrotz kann die Hypothese, über verschiedene Phasen in Trauerprozessen zumindest ein grundlegendes Verständnis ermöglichen. Die Arbeit von Kübler-Ross kann also im Mindesten als Impuls verstanden werden. Mal abgesehen davon, hat sie sich energisch gegen die Tabuisierung von Tod und Sterben gestellt und einen Beitrag dazu geleistet, dass das Thema öffentlich besprechbar geworden ist. Die Kritik der Generalisierung und Vereinheitlichung trifft dabei vermutlich auch heute auf die sehr gebräuchliche Nutzung der Veränderungskurve in organisationalen Kontexten zu.

Zurück zu den Lebenden – die Veränderungskurve im Organisationskontext

Es dauerte wiederum nicht lange, bis ein vermutlich pfiffiger Unternehmensberater auf die Idee kam, die Trauerkurve dahingehend zu adaptieren, dass sie auch in organisationalen Veränderungsprozessen nützlich ist. Es ist wohl dem besonderen Humor des Universums zuzurechnen, dass Veränderung und Tod hier Hand in Hand dahinschweben. 

Ich möchte in aller Kürze die sieben Phasen der Veränderungskurve skizzieren.

Veränderungskurve nach Elisabeth Kübler-Ross

Bild: Veränderungskurve in Anlehnung an Elisabeth Kübler-Ross (eigene Darstellung)

Komfortzone - Schock - Leugnung

Es beginnt eigentlich immer schon, bevor es so richtig los geht. In unserem Fall in der heimischen Komfortzone. Der Aggregatszustand in dem wir uns am wohlsten fühlen. Hier besitzen wir so eine Art Expertenstatus, wir haben Profession und Können längst unter Beweis gestellt und, nicht ganz unwichtig, sind relativ sicher in dem was wir tun. Im Organisationskontext können wir sagen, wir bearbeiten routiniert das, was zu tun ist. Der Stresspegel schlägt nicht mehr ins Unermessliche aus, wenn der Chef/ die Chefin uns ruft.

Genau in diese Phase der relativen Entspannung, platzt jetzt das vom CEO ausgerufene und Überlebens wichtige Transformationsvorhaben. Wir müssen dieses und jenes, weil sonst Implosion oder Explosion drohen. Die Folge ist ein fast schockartiger Reflex mit dem Hang zur Leugnung

Was? Wieso ich bzw. wir (schon wieder)? Wir waren doch erst letztens dran mit der Veränderung. Möge dieser Kelch an uns vorübergehen. Naja, so schlimm wird es schon nicht werden.

Veränderungsvorhaben, vor allem die indoktrinierten, stoßen allzu oft auf diese Elemente der Ablehnung und des Widerstandes. Die Anzahl derer, die mit Wohlwollen und Abenteuerlust den heimischen Herd und die liebgewonnene Wärme im Schoß der (vermeintlichen) Sicherheiten verlassen, scheint zumindest überschaubar. (Sei gegrüßt Abenteurer_in, ich hoffe, ich habe dich nicht zu schubladenartig und vorschnell eingeordnet.) Da draußen droht Ungemach und es kann ungemütlich werden. 

Rationale Einsicht

Wenn wir dann doch einmal zusammen zu Rate sitzen, was selten genug angemessen vorkommt, dann nicken wir gerne die Unausweichlichkeiten und Alternativlosigkeiten dieser Veränderung ab, welche durch unsere Chefinnen und Chefs und deren Chefinnen und Chefs postuliert werden. Werden diese Ausführungen dann noch von einem externen (das ist wichtig) Unternehmensberater beglaubigt, dann folgt meistens so etwas wie rationale Einsicht. Hierunter verstehen wir in erster Linie im Außen wahrnehmbares Kopfnicken. In Organisationen wird dann gerne beteuert, dass man/frau ja verstehe und die getroffenen Entscheidungen natürlich mittrage. 

Emotionale Akzeptanz - Das Tal der Tränen

In der Rolle als Coach arbeite ich mit meinen Klienten in Veränderungsprozessen mit dem Fünf-Grenzen-Prozess-Modell von Rainer Molzahn. Bei der rationalen Einsicht arbeiten wir an der Grenze zur Information. Hier tragen wir erstmal all das zusammen, was wir an sinnlich wahrnehmbarer Information zur Verfügung haben. Wir drehen und wenden Informationen, verdichten oder entzerren Informationen und bearbeiten Komplexität. Wir geben den Dingen einen Namen und holen sie ins Licht. Und das ist Schwerstarbeit und Steine Klopfen. An dieser Stelle neigen Menschen zu Abkürzungen in dem Sinne: Okay, ich habe verstanden. Natürlich bin ich dabei. Gerne strenge ich mich für Sie weiter an. 


Was an dieser Stelle noch nicht stattgefunden hat, noch gar nicht stattfinden konnte, ist der Bedeutungsgebungsprozess an der dritten Grenzen. Wenn alle Informationen auf dem Tisch liegen, zumindest die, die für uns zugänglich sind, was heißt das dann genau für mich? Welche Bedeutung messe ich dem bei? In der Veränderungskurve nach Kübler-Ross sind wir im Tal der Tränen angelangt. Hier erfolgt die emotionale Auseinandersetzung mit dem, worin uns die Veränderung konfrontiert. 

Dieter Lederer hat in seinem Artikel Verändern mit Gefühl aus der Zeitschrift managerSeminare (Ausgabe 295; Seite 18 ff.) so treffend beschrieben, was passieren kann, wenn nur eine der beiden Qualitäten vorhanden ist. Nur rein rationale Zustimmung bedeutet: Ich habe verstanden, dass wir den Change brauchen. Doch ich bin weder motiviert noch inspiriert hier mitzumachen. Damit sind im besten Fall zähneknirschendes Pflichterfüllen, spaßbefreite Disziplin und Dienst nach Vorschrift zu erreichen.

Ist auf der anderen Seite rein emotionale Zustimmung vorhanden und all die lästigen, rationalen Informationen werden missachtet oder geleugnet, dann klingt das eher so: Die Details sind mir nicht klar und ob die Richtung stimmt, weiß ich auch nicht so genau, doch ich habe große Lust darauf loszulegen. Zwar erleben wir hier eine hohe Veränderungsbereitschaft und Bewegung kann entstehen. Doch diese gleicht dann eher einem munteren Durcheinander als souveränem und verantwortungsbewusstem Voranschreiten. 

Die Arbeit und Begleitung an beiden Grenzen, an jener der Informationsbeschaffung und der, der Bedeutungsgabe, sind die Felder in denen Menschen in Führungs- oder Begleitungsrollen Wirkung entfalten können. Das ist der bedeutungsvolle Auftrag, den man/ frau mit der Übernahme von Führungsrollen annimmt.

Ever tried. Ever failed.

Je nach dem wie gut uns die Begleitung durch den rationalen und emotionalen Bedeutungsraum gelungen ist, ermöglicht dies eine neue Phase in Veränderungsprozessen. Übrigens finden wir die Metapher des Tiefgangs, des Eintauchens und Einlassens in den allermeisten Theorien/ Beschreibungen zu Veränderungsprozessen. Schaut das gerne bei Janssen und seinem House of Change (Vier Zimmer der Veränderung) an oder bei Schamer und seiner Theory U. Genauso berichten Foster und Little über die Notwenigkeit der inneren Auseinandersetzung mit der Konfrontation aus dem Außen. In der Adoleszenz, der prägenden Phase der Veränderung auf dem Weg ins Erwachsenendasein, gehört es dazu, den Herbstschild zu durchschreiten.

Nach diesen hauptsächlich innerlichen Debatten und Dialogen, kann nun also eine Phase des Versuchs und Irrtums folgen. Samuel Beckett fasst dies so treffend und berührend zusammen: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better. Dem ist nichts hinzuzufügen. 

Ever tried. Ever failed. No matter.

Try again. Fail again. Fail better.

Samuel Beckett

Erkenntnis und Integration

Wem es gelingt, bis hierhin durchzuhalten, auf den warten Erkenntnis und Erleuchtung. Das gibt es natürlich nicht umsonst und wir haben bereits erfahren, was uns alles abverlangt wird. Die Belohnung ist fast so etwas wie Heldenstatus und die Anerkennung aus der Gruppe dafür, dass wir in der Lage sind Veränderungsprozesse zu durchschreiten. Und was, wenn nicht die Anerkennung aus der Gruppe erfüllt maßgeblich unser ur-, ur-, ur-, urtypisches Bedürfnis nach Zugehörigkeit?

Lineare oder zyklische Veränderungsprozesse?

Die Ausgangsfrage oben lautet: Hat die gute alte (lineare) Veränderungskurve ausgedient?

Die Phänomene und Beschreibungen von Kübler-Ross sind für mich nach wie vor beobachtbar. In der Arbeit mit Klienten erlebe ich die einzelnen Phasen sehr direkt. Menschen sprechen immer wieder darüber, wie schockiert und frustriert sie über verordnete Veränderungsvorhaben sind. Ich erlebe sehr viel Kopfnicken und Erdulden in Veränderungsprozessen aus Angst, Resignation oder Gefälligkeit. Das Tal der Tränen ist unterschiedlich intensiv und lang für Menschen. Versuch und Irrtum, jenes erste zaghafte Vorantasten und die Erkenntnis, dass es möglich ist. Alles ist da. 

Allein die häufige Abbildung (auch meine oben) der Veränderungskurve als linearer Prozess stört mich. Die Darstellung suggeriert nämlich, dass man die Strecke von x Zeiteinheiten einmal durchwandern muss und dann ist der Spuk vorbei. Mein Erleben ist vielmehr, dass nach vollbrachter Reise, die erneute Konfrontation mit dem Fremden längst auf uns wartet. Gerade in dem Moment, in dem wir es uns in Pantoffeln vor dem Kamin so richtig schön gemütlich gemacht haben. 

Nun denn Herz, nimm Abschied und gesunde…