Mission: (Im)possible - Verhaltensänderung #1

Verhaltensänderung | Autor: Marcus Lärz | 07.06.2022

Zu diesem Titel müsst ihr euch natürlich als erstes die Titelmusik aus dem Film Mission: Impossible mit Tom Cruise aus dem Jahr 1996 vorstellen. Hier der passende YouTube-Link.

 

Vom 31.05. bis 01.06.2022 war ich in Dresden zu den 12. IAG-Trainertagen unter dem Motto „Haltung und Werte in Training und Weiterbildung“. Und was soll ich sagen, es hat sich gelohnt! Von zwei meiner Highlights möchte ich hier gerne berichten. Im Prinzip geht es in dieser zweiteiligen Blogreihe darum, 

 

a) zu verstehen und zu akzeptieren, wie schwer (nicht unmöglich) Verhaltensänderungen sein können (Verhaltensänderung #1) und 

b) zu reflektieren, was unser Verhalten mit Diskriminierung zu tun haben kann (Verhaltensänderung #2).

Ein neurobiologischer Blick hinter die Kulissen von Haltung und Persönlichkeitsentwicklung

 

Ich hoffe, der Titel schreckt an dieser Stelle nicht zu sehr ab und ihr habt Lust, auf einen kleinen Ausflug in das menschliche Gehirn. Prof. Dr. Gerhard Roth von der Uni Bremen hat dazu auf der Tagung gesprochen. Eine (nicht neue) Erkenntnis aus seinem Vortrag: Motivationspsychologisches Gewürge à la „Nun mach doch mal!“ oder „Nun lass doch mal!“ können wir uns alle getrost schenken. Diese oder ähnliche Sätze, die mir im Führungsalltag oder in Konfliktsituationen immer wieder begegnen, haben wenig Erfolgsaussichten. Traurig (?), aber wahr. 

 

Doch woran liegt es eigentlich, dass wir uns zumindest im Erwachsenenalter, so wenig aus Appellen und Ratschlägen machen? Weshalb fällt es uns so schwer, die viel zitierte Komfortzone zu verlassen? Warum, um Himmels Willen, ist Verhaltensänderung so schwer? Ich meine, statistisch gesehen, geben am 19. Januar die meisten Menschen (80 Prozent) ihre Neujahrsvorsätze schon wieder auf. Dabei kommen diese Vorsätze ja aus uns selbst heraus und weniger als Zwang von außen. Wir selbst legen uns ja eine Verhaltensänderung auf und scheitern allzu oft brachial damit. Naja, weshalb also, lässt sich Verhalten (bei uns oder anderen) so schwer verändern? Und wie entsteht sie, die Haltung, überhaupt?

Die kosmische Rezeptur auf dem Weg zur Menschwerdung 

 

Goethe hat dazu mal sehr treffend zusammengefasst: Werde, was du bist. 

 

Im Grunde genommen bekommen wir alle bereits sehr früh im Leben, unseren inneren Kompass kalibriert. Dabei sind es weder ausschließlich die Gene, die uns prägen. Noch die Epigenetik, die unseren Genen vorschreibt, was zu tun oder zu lassen ist. Sondern sowohl der vorgeburtliche Kontext, die Bindung zwischen Mutter und Kind also und die Konstitution der Mutter und des Kindes an sich, haben hier schon Einfluss. Dazu gesellen sich die frühkindlichen Prägungen und natürlich im Lebensverlauf so etwas wie Sozialisation. Meine Familie, meine Peers und die Gruppen und Menschen, mit denen ich mich umgebe. All das wirkt zusammen und macht uns letztendlich zu dem, was wir sind. 

 

Es ist also so eine Art Grundausstattung bei jeder und jedem von uns vorhanden. Aus dieser heraus, prägen uns dann in frühester Kindheit bereits die Menschen und Umwelteinflüsse, denen wir anvertraut sind. Im Positiven, genau wie im Negativen. Alles beginnt sehr früh. 

Dynamik und Stabilität als grundlegende Persönlichkeitsmerkmale

 

Der Mensch wird in diese Welt geboren, mit zwei sehr typischen Ausprägungen in seinem Temperament. Roth sprach hierbei von Temperament und nutzte diesen Begriff als Wesensart. Dabei gibt es die dynamischen oder stabilen Personen. Und an dieser Stelle sei bemerkt, dass beide Ausprägungen natürlich „gut“, „richtig“ und „wichtig“ sind, nur nicht eben für jeden Zweck. (Den Gedanken können wir uns mal merken, da dies gerade in der Begleitung von Erwachsenen, gerne mal vergessen wird.) Wir haben also so eine Art Grundmuster im Verhaltensrepertoire mitbekommen. Dieses Temperament ist wenig veränderbar. Diejenigen unter uns, die zwei oder mehr Kinder haben, können vermutlich bestätigen, dass die Geschwister mitunter sehr unterschiedlich im Wesen sein können. Und das, obwohl Eltern, Umwelt und andere natürliche oder soziale Einflüsse ziemlich ähnlich sein dürften.

Ein Navigationsversuch im menschlichen Gehirn

 

Dieses Temperament, unseren Wesenskern verortet Roth im unteren limbischen System. In diesem Areal sitzen auch die urmenschlichen Instinkte. Aus dem Englischen kommt die Bezeichnung 3 Fs, womit gemeint ist: fight, flight, freeze (Kämpfen, Fliehen oder Einfrieren/ Erstarren). Dort regelt das Gehirn, was uns am Überleben hält, die Ur-Instinkte. Diese sind in Konfliktsituationen sehr gut zu beobachten, wenn Menschen aggressiv reagieren, die Flucht antreten oder zumindest vorübergehend erstarren. Sehr wirkmächtige Impulse, die immer dann zum Vorschein kommen, wenn massive Gefahr droht. Weil sie lebenserhaltend wirken, sind sie auch so tief in uns verankert. 

 

Zusammen mit dieser unteren Ebene prägt dann die mittlere limbische Ebene den Kern der Persönlichkeit. Hier werden im frühkindlichen Stadium schnell und vor allem sehr prägend die ersten Erfahrungen im Elternhaus verarbeitet und (vor allem) gespeichert. Hier wird geprägt, ähnlich wie bei einer Münze, fest eingraviert. Heftige Prozesse, die uns zeitlebens begleiten werden. 

 

Auf der sog. oberen limbischen Ebene findet dann das emotional-soziale Lernen statt. Ich habe das für mich als die Anpassung an die Umwelt übersetzt. Hier entwickelt sich Haltung, über das Temperament und frühkindliche Prägung, hin zu Werten. Es findet Reflexion statt. Welche Werte sind mir im Leben wichtig? Was hat Bedeutung für mich? Wo erlebe ich Erfüllung oder ertrage einen Mangel? Wem oder was fühle ich mich verbunden und zugehörig? Und wie gehe ich eigentlich damit um, wenn meine Werte meinen Lebensumständen zu wider laufen? 

 

Roth setzt dann noch einen letzten Ortungspunkt im Gehirn und hat diesen als kognitiv-sprachliche Ebene bezeichnet. Hier entsteht letztendlich unser Weltbild über das, was wir hören, sehen, denken und durch den Kontakt mit anderen lernen. Wir entfernen uns also so langsam vom Wesenskern, von dem was uns prägt und ausmacht. Hier verarbeiten wir Reize, dass was uns (momentan) interessiert, was wir lernen und wahrnehmen. Das alles hat Einfluss auf uns, keine Frage. Wir sind hier allerdings nicht mehr beim Wesenskern, unserem Innersten. Das ist dann eher der Bereich der bewussten oder unbewussten, reflektierten Entscheidungen, zu dem was für uns Bedeutung hat. Hier findet Anpassung statt, Impression Management, nennen das die Psychologen. Hier konstruieren wir unsere Welt. Hier erschaffen wir sie und hier verteidigen wir sie.

 

Das Gehirn mit all seinen Facetten und neurobiologischen Prozessen entfaltet sich individuell und schenkt uns unsere Persönlichkeit. Tief verankert wohnen uns Temperament, Wesen und Persönlichkeit inne. Sicher vor allzu viel spontaner Wankelmütigkeit, vor Launen und Reizen. Unsere Grundfeste also, die sich wenig aus Appellen, Schwärmereien, Gardinenpredigten, Neujahrsvorsätzen und dergleichen machen.

 

Das ist ja fast ein K.O.-Kriterium für die gesamte Beraterbranche, für alle Eltern oder Menschen, die sich in Führung abmühen. Und doch…

Knock out – oder doch nicht ganz?

 

Verhaltensänderungen bei Erwachsenen sind natürlich nicht ausgeschlossen, aber wohl eher selten und untypisch. Wenn sie denn dann doch vorkommen, sind sie meist durch handfeste Krisen ausgelöst oder das Resultat langjähriger und langwieriger (Leidens-) Prozesse. Hat sich eine grundsätzliche Haltung im Menschen entwickelt und ausgeprägt, ist diese nur äußerst schwer zu verändern, so der Hirnforscher Roth aus Bremen. Als Führungskraft, Coach oder Berater kann man/frau sicher ein Lied davon singen. Gerät die Haltung, meine innere Einstellung, mein (moralischer) Kompass in Konflikt mit meiner sozialen Umwelt, dann knallt es für gewöhnlich heftig. Oder lange Leidensgeschichten nehmen ihren Anfang.

 

Und genau hier setzt ja gerade Transformatives Coaching oder Begleitung in Konfliktprozessen an. Nicht in der Komfortzone der Menschen, sondern immer dann, wenn es gerade nicht weitergeht. Wenn Menschen an Grenzen kommen und es einen, wenn man so will, Fährmann braucht. Einen Ortskundigen, jemanden, der sich in den Welten zwischen Alt und Neu oder Anders auskennt. Der ein Bewusstsein dafür hat, das Sätze wie „Jetzt kommen Sie doch mal raus aus Ihrer Haut und machen Sie sich locker. Seien Sie nicht immer so ängstlich und penibel.“ wenig hilfreich sind. 

 

Es geht hier nicht darum, Klienten in oder durch tiefenpsychologische Prozesse zu führen. Dafür fehlt in der Regel, schlichtweg das Mandat und diese Grenze gilt es auch voller Demut zu wahren. Und dennoch können wir in der Begleitung einen Beitrag leisten, indem wir zuhören, uns zuwenden und unsere Fragen stellen. Letztendlich entscheidet jeder Mensch selbst, wie sehr er oder sie sich dem Innersten stellt.

Ein Erklärungsansatz zur Verhaltensänderung


Wenn ich in meinen Prozessen mit dem Thema Verhalten konfrontiert bin, dann hilft mir eine Darstellung, die ich vor Jahren mal auf einem anderen Kongress kennengelernt habe. Abgebildet sind hier Antezendenzbedingungen, also Einflussfaktoren und Gründe, die auf Verhalten einwirken. Diese vier Säulen oder Eckpfeiler sind dann der Ausgangspunkt meiner Fragen. Vielleicht inspirieren sie euch ja auch. Solltet ihr dazu Fragen, Tipps, Hinweise oder Anregungen haben, dann meldet euch gern.