Inventur in der Manufaktur #1

Impulse | Autor: Marcus Lärz | 25.02.2022

Am Monatsende möchte ich in der Manufaktur aufräumen. Die Sinne und die Werkzeuge wollen geschärft werden. Innehalten und Luft holen. Es geht darum, die Dinge und Themen, die mir begegnet sind, einzuordnen und ihnen einen Raum zu geben. Manches auch loszulassen. 

 

Was war los im Februar 2022? 

Der Monat inspirierte mich in vielerlei Hinsicht zum Verlangsamen

1)    Also mal langsam jetzt: Wie fing das eigentlich alles an?

Mit Inventur in der Manufaktur habe ich mir das Ziel gesetzt, am Monatsende jeweils fünf bemerkenswerte Impulse aus dem letzten Monat zu reflektieren. Und was passt besser zu dem Anfang dieses Vorhabens als ein Buch, mit eben jenem Titel? Das neue Buch „Anfänge“, des bereits verstorbenen David Graeber ist hierzulande Ende Januar 2022 erschienen. In diesem Buch beschreiben David Graeber und David Wengrow die Anfänge der Zivilisation und bauen eine Brücke in die Zukunft. Es geht darum, einen neuen, anderen Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Menschen zu nehmen. Möglicherweise lassen sich so liebgewonnene Dogmen lösen und neu verhandeln. 


Mir hat folgender Gedanke aus dem ersten Kapitel besonders gefallen: 

Es ist genauso schwer, mit jemandem zu diskutieren, den man verteufelt, wie mit jemandem, den man vergöttert. Denn alles, was der Teufel oder der Engel denkt oder sagt, wird dabei entweder für irrelevant oder für äußerst tiefgründig gehalten.

Ich fühle mich unweigerlich an die ein oder andere Corona-Debatte erinnert…

2)    Es wird langsam Zeit zu überlegen, wer genau unsere Leute sind. 

David Graeber aus dem ersten Impuls habe ich überhaupt erst durch Julian Gebhard in meiner Weiterbildung Moderationsmodell für eine innovative öffentliche Gesprächskultur kennengelernt. Dort haben wir abends zuweilen über sinnvolle und unsinnige Jobs gesprochen und Julian empfahl mir hier Bullshit - Jobs, eben auch von Graeber. Es nahm seinen Lauf.

Die Bücher Anfänge und Bullshit – Jobs haben mich also an Julian Gebhard erinnert und dieser hat mal einen großartigen Blogartikel zum Thema Der Staat wird euch nicht retten – eure Nachbarn aber schon geschrieben. Es geht um Unterstützung, Verlässlichkeit und Vertrauen (nicht nur, aber vor allem) in öffentlichen Räumen. Sehr empfehlenswert. 

3)    Wenn wir nicht langsam aufwachen, wird es zu spät sein. Das Modell der Planetaren Grenzen.

In der Zeit-Ausgabe 5/2022 bin ich unter der Rubrik Wissen auf den Artikel Jenseits der Giftgrenze gestoßen. Hier habe ich zum ersten Mal von dem Modell der Planetaren Grenzen erfahren.
 
Im Prinzip definiert dieses Modell neun Belastungsgrenzen der Erde. Es geht hier u.a. um die chemische Belastung der Erde, die Versauerung der Ozeane oder die Biodiversität. Der Artikel befasst sich mit der Grenze der chemischen Belastung der Erde und kommt zu dem Fazit, dass wir uns schon lange selbst gefährden. Viel zu viel (unkontrollierte und unbekannte) Chemie belastet unseren Lebensraum und damit natürlich uns. 

Meine Hoffnung ist, dass wir lernen und verstehen und dann unsere Gewohnheiten anpassen. 

 

4)    Langsam reicht es aber echt. Grenzen des guten Geschmacks (J. Bezos und De Hef´). 

Es scheint immer wieder Eliten zu geben, die meinen, dass Grenzen für sie keine Gültigkeit haben. Versteht mich nicht falsch, wir brauchen immer wieder Menschen, die Grenzen überwinden, die Neues, Anderes wagen. So geschieht Fortschritt, nicht wahr!? Wenn alles optimal läuft.
 

Was ich hier meine, überschreitet wenn man so will, die Grenze des guten Geschmacks. Jeff Bezoz, Gründer der Plattform Amazon, versucht mit seiner Megayacht die altehrwürdige Brücke De Hef in Rotterdam zu durchfahren. Blöd nur, dass das alles irgendwie nicht passt. Also soll die unter Denkmalschutz stehende Brücke erst zurück- und dann wieder aufgebaut werden. Da mir das alles sehr absurd erscheint, habe ich diese Petition bei change.org unterschrieben und möchte sie hier mit euch teilen. 

5)    Wir müssen langsam mal darüber reden. Die Macht der Benennung oder der Bruch mit dem Tabu.

Ein letzter Gedanke noch, der mir diesen Monat kam. Was haben Rumpelstilzchen (ja, der Gnom aus dem Märchen) und (der, die, das?) Pizzo (Schutzgeld der italienischen Mafia) gemeinsam?

Stille, Stille, Stille.


Auflösung: Beide verlieren ihren Schrecken, wenn man/ frau sie benennt. 

Im dritten und letzten Versuch kann die Königstochter Rumpelstilzchen beim Namen nennen und er bekommt nicht das ersehnte Königskind. Vielmehr reißt er sich selbst in zwei. So soll es sich zugetragen haben.

Über das Schutzgeld der italienischen Mafia in Palermo habe ich in diesem Artikel etwas erfahren. Es galt bzw. gilt heute noch vielerorts als völlig normal ein Schutzgeld an die Mafia zu zahlen. Mutige Menschen haben dagegen die Initiative Addiopizzo gegründet und wollen diesen Umstand ändern. Da den Initiatoren in kleinen Schritten Erfolge gelingen und die Initiative an Aufmerksamkeit gewinnt, ist in dem Artikel nach dem berühmten Erfolgsrezept gefragt worden. Und hier ein Auszug der Antwort: 

Eines der größten Probleme im Kampf gegen die Mafia ist, dass wir nicht genug über sie sprechen. Das Schutzgeld-Thema war bis vor weniger als 20 Jahren ein Tabu, man sprach einfach nicht darüber. Wenn man aber über etwas, das man loswerden will, schweigt, klappt es nie. Man muss so viel wie möglich darüber sprechen. (Vereint gegen die Mafia ~ transform (transform-magazin.de)

Zwei Mini-Beispiele, gefühlt aus anderen Welten, die den Akt der Benennung feiern und zelebrieren. Verlangsamen, hinschauen und verstehen machen ihn erst möglich.

Hoffnungsvoll und müde vom Aufräumen. Was für ein Monat.

 

Euer Marcus

 

(P.S. Hast du Fragen, Kritik, Hinweise oder Anregungen zu dem Beitrag, dann melde dich gerne bei mir.)

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